Ich wusste schon lange, dass ich direkt nach meinem Abitur nicht an einer Uni studieren möchte,
sondern lieber ein Jahr Auszeit nehmen und etwas anderes als Bänke, Dozenten, Block und Bleistift zu
sehen. Nach meinem Abschluss im April 2011 stellte sich dann die Frage: Was nun? Ich hatte schon
öfter mal den Begriff „Au Pair“ gehört, wusste aber nicht so recht, worum es sich dabei überhaupt
handelt.
Also fing ich an ein bisschen zu recherchieren und fand heraus, dass es eine Möglichkeit ist,
ein anderes Land kennenzulernen und sich durch die Unterstützung einer einheimischen Familie etwas
Geld dazuzuverdienen. Für mich, die selbst schon durch ein Praktikum und als Nachhilfelehrerin
Erfahrung im Umgang mit Kindern gemacht hat, klang das nach einer sehr guten Möglichkeit das Jahr
zwischen Schule und Uni zu verbringen.
Nun stellte sich allerdings die Frage, wie wird man überhaupt ein Au Pair?
Nach weiterer Recherche fand ich dann heraus, dass ich praktisch zwei Möglichkeiten habe. Zum einen
gibt es unabhängige Internetseiten, auf denen sich Au Pairs und Familien selbst gegenseitig
aussuchen, oder man wendet sich an eine Agentur, muss dann für deren Dienste aber natürlich etwas
Geld zahlen. Für mich war von Anfang an klar, dass ich gerne die Dienste einer Agentur in Anspruch
nehmen möchte und schrieb einfach mal einige der Agenturen per E-Mail an. Letztendlich entschied ich
mich dann für Multikultur und kann auch rückblickend noch sagen, dass ich mit deren Arbeit rundum
zufrieden war. Zunächst erscheinen 150€, die man für deren Arbeit bezahlen muss, vielleicht ein
bisschen viel, aber dafür konnte ich mich darauf verlassen, dass sich die Agentur selbst über die
Glaubwürdigkeit der Familien versichert hat und ich für die in meinem Fall sechs Monate meines
Aufenthalts jederzeit einen Ansprechpartner habe.
Dann blieb für mich noch zu entscheiden, wie lange ich in England bleiben möchte. Mir war klar, dass
sich meine Chancen einen Platz zu bekommen wohl vergrößern werden, je länger ich im Ausland
bleiben würde, konnte mir aber einfach nicht vorstellen für ein ganzes Jahr wegzugehen. Obwohl ein
halbes Jahr noch immer sehr lang für mich erschien, entschied ich mich dafür ins kalte Wasser zu
springen und sechs bis neun Monate zu bleiben. Im Nachhinein verging diese Zeit aber viel zu schnell,
also kann ich jedem, der ein bisschen Angst hat von zu Hause wegzugehen nur empfehlen sechs
Monate zu gehen. Es vergeht viel schneller als man denkt.
Nachdem ich also alle meine Unterlagen zusammen hatte - und das war mehr Arbeit als ich zunächst
erwartet hatte, also würde ich jedem Empfehlen zu deren entspannter Beschaffung etwa einen Monat
einzuplanen - konnte es mit der Vermittlung losgehen. Die dritte Familie, mit der ich sprach, entschied
sich nach einem Skype Telefonat dann auch, mich als Au Pair in ihre Familie aufzunehmen. Viele
denken nun sicherlich „London! Da will doch jeder hin.“ Ich hatte in meiner Bewerbung jedoch
angegeben, dass es mir egal ist, wo im Land ich hingeschickt werde. Und landete somit in – Yorkshire!
Genauer gesagt, Selby. Ein kleines Städtchen ungefähr gleich weit entfernt von den Städten York und
Leeds. Davon hat jeder schon mal gehört, niemand weiß aber so richtig wie's dort so ist. Genau so
ging's auch mir. Trotzdem war ich für neue Erfahrungen sehr aufgeschlossen und bereit mich in dieses
Abenteuer zu stürzen.
Meine Aufgaben bestanden darin, die beiden Kinder Jessica (4) und Ollie (2) morgens fertig zu machen
und nachmittags abzuholen, wenn deren Tag in Kindergarten und Schule vorbei war, für sie zu kochen
und den Rest des Tages auf sie aufzupassen, das Haus sauber zu halten und ab und zu ein paar
Einkäufe zu erledigen. Für mich persönlich waren diese Aufgaben zu Anfang anstrengender und mit
mehr Verantwortung verbunden, als ich im Vorhinein erwartet hatte, aber bereits nach wenigen Wochen
waren meine Gastmutter Nikki und ich praktisch ein eingespieltes Team.
Probleme hatte ich anfangs, neue Kontakte zu knüpfen. Da ich das einzige von meiner Agentur in
Yorkshire platzierte Au Pair war, fanden die ganzen von meiner Agentur organisierten Unternehmungen
im Raum London statt. Außerdem konnte ich mir auch nicht leisten einen Sprachkurs zu machen. So
machte ich mich im Internet auf eigene Faust auf die Suche nach anderen Au Pairs und zusätzlich
unterstützte mich meine Gastmutter, indem sie sich lokal für mich umhörte. So arrangierte ich nach ca.
vier Wochen ein Treffen mit ein paar „Einheimischen“ und lernte so schnell viele neue Leute kennen,
mit denen ich selbstständig Unternehmungen und Trips organisierte.
Natürlich fand ich es etwas schade, dass es für mich überhaupt keine von meiner Agentur organisierten
Unternehmungen gab, an denen ich teilnehmen konnte. Aber als einziges Au Pair in Yorkshire konnte
ich das eigentlich auch nicht erwarten. Es gibt immer wieder viele Au Pairs, die sich über so etwas
extrem beschweren, aber ich finde, was und wie viel du während deinem Au Pair Aufenthalt erlebst liegt
daran, wie viel Initiative du selbst übernimmst. Also! Raus aus der Stube ab ins Vergnügen, einfach mal
alleine ausgehen, auf Menschen zugehen und ruck zuck findet man viele Menschen, die sich für einen
interessieren. So banal es klingt, innerhalb kürzester Zeit war mein Standardsatz: „Hi, I'm Elly. I'm from
Germany.“ und sofort war das Interesse der anderen gehegt und ein erstes Thema war auch schon
gegeben. Was ich allerdings empfehlen kann, für Menschen, die wirklich sehr große Probleme haben,
auf andere zuzugehen: Informiert euch im Voraus darüber, wo und wann Dinge organisiert werden und
wie viele Au Pairs in der Gegend, in die ihr wollt, von eurer Agentur im Durchschnitt platziert werden.
Von eurer Agentur deshalb, da es in meinem Fall zwar so einige andere Au Pairs in meiner Gegend
gab, es aber sehr schwer war mit diesen in Kontakt zu treten. Von den meisten habe ich leider erst
erfahren, als ich schon fast wieder nach Hause fliegen musste oder sogar danach.
Viel weiter möchte ich meine persönlichen Erfahrungen hier jedoch nicht ausführen, denn jedes Au Pair
und jede Familie ist verschieden.
Die einzigen generellen Ratschläge, die ich an dieser Stelle zum Zusammenleben mit der Familie
geben möchte, sind:
• Seid immer offen und ehrlich zu eurer Familie. Sagt, wenn ihr Probleme habt oder wenn euch
etwas nicht gefällt und seid im Gegenzug offen für konstruktive Kritik. Jeder macht Dinge
anders, das heißt nicht, dass ihr sie falsch gemacht habt. Wenn ihr den Eindruck habt, eure
Gastfamilie ist nicht hundertprozentig mit eurer Arbeit zufrieden, bittet ruhig auch mal um
Feedback.
• Außerdem solltet ihr keinen perfekten Aufenthalt erwarten. Stellt euch darauf ein, dass es
anstrengend sein kann und, dass Probleme auftreten können. Das ist der beste Weg Lösungen
zu finden. Verdrängung und aufgestaute Emotionen tun niemandem gut.
• Sorgt für Ausgleich. Nehmt Auszeit von eurer Familie und gebt ihnen eine Auszeit von euch.
• Ergreift selbst Initiative. Wenn ihr noch niemanden kennt, geht in eurer Freizeit auch ruhig mal
alleine auf Entdeckungstour.
Wenn ihr schon Leute kennt, warum nicht selbst einen Trip irgendwohin organisieren?
Ich bereue es auf keinen Fall, dass ich nicht in London platziert wurde. Es war sehr spannend für mich
eine Seite Englands kennenzulernen, die weder mir noch der Mehrheit der Ausländer bekannt ist. Die
Gegend ist perfekt für Menschen, die sich für Kultur und vor allem Geschichte interessieren und bietet
ebenso ein herausragendes Angebot an musikalischen sehr hochwertigen Veranstaltungen. Außerdem
gibt es für Partygänger in Form von zahlreichen Pubs für junge Leute genügend Gelegenheit viele neue
Kontakte zu knüpfen. Die Menschen sind Fremden gegenüber sehr aufgeschlossen und freundlich, es
findet sich immer jemand, den man um Hilfe bitten kann, wenn man mal nicht weiterkommt.
Und zuletzt – ein paar Dinge ich über die Angelsachsen so gelernt habe:
• Tee ersetzt tatsächlich meistens den Kaffee, trotzdem würde ich die Auswahl an Teesorten im
Vergleich zur deutschen als durchaus begrenzt bezeichnen (Grün. Milch. Manchmal Zucker.)
• Jeder steht an der Bushaltestelle Schlange.
• Sie sind die zugleich höflichsten und unhöflichsten Menschen, die ich jemals getroffen habe
(bitten ständig um Verzeihung, aber schimpfen können sie wie Rohrspatze.)
• „Crisps“ sind „Chips“ und „Chips“ sind „Pommes“.
• Niemand wird jemals müde zu betonen: „We are not european.“
• Yorkshire Pudding ist gar keine Süßspeise.
Ich wünsche jedem, der sich dazu entscheidet ein paar Monate in England oder einem anderen Land
zu verbringen viel Glück, Erfolg aber vor allem ganz viel Spaß und ein paar unvergessliche
Erfahrungen =]