Das Auffälligste was es über mein halbes Jahr im Britischen Königreich zu berichten gibt ist tatsächlich, dass kaum eine andere Nation so vielen Klischees gerecht wird wie die Briten. Während wir Deutschen meinen bescheidenen Erfahrungen nach selten tagtäglich in Lederhosen gekleidet Sauerkraut in Mengen verspeisen, trinken die Engländer sogar noch mehr Tee als ihnen immer nachgesagt wird. Zumindest konnte ich dies in meiner überaus lebhaften, streckenweise relativ anstrengenden, dennoch aber immer liebevollen Gastfamilie hautnah erleben.
Einquartiert wurde ich in einer überaus britischen Familie in einem kleinen Dörfchen westlich von London. Im Vorhinein sicherte mir eine „bekannte Internet-Enzyklopädie“ eine Gesamt-Einwohnerzahl von 900 Menschen zu, im Nachhinein bin ich aber der festen Überzeugung, dass es sich bei mindestens der Hälfte dieser Angaben um Schafe oder Fasane gehandelt haben muss. Trotzdem genoss ich das englische Landleben in vollen Zügen, schon allein weil es sich um eine wunderschöne Gegend handelte, um dort die eigenen (oder fremde) Kinder nach besten Willen zu er- und verziehen. Insgesamt befanden sich drei kleine Menschen in meiner Obhut. Die Älteste „meiner Kinder“ war sechs und wirklich gewitzt und schlau, ihre beiden vierjährigen Geschwister (der Junge war immerhin eine Stunde älter als seine „kleine“ Zwillings-Schwester) waren vermutlich eben so helle in ihren jungen Köpfchen, vereinigten aber die Lebhaftigkeit von sieben Kindern in sich und schienen somit unhaltbar und ausgelassen. Da meine Gastmutter bei all der Arbeit im Haushalt nicht noch arbeiten ging, war ich hauptsächlich zur notwendigen Zussatzbetreuung und zur seelischen Unterstützung aller ins Haus geholt worden. Dabei war ich schon auch mal mit den lieben Kleinen alleine, meistens war ich allerdings mit der Mammut-Aufgabe betraut dafür zu Sorgen, dass die Kinder trotz Anwesenheit ihrer Mutter nicht das Haus zerlegten und dieses in konstant erträglichem Zustand gehalten wurde. Vielleicht wurde ich etwas zu oft höflich gebeten eben dieser Aufgabe auch einmal am Wochenende nachzugehen, andererseits gab ich dieser Bitte auch jedes Mal freudig nach und verplante dann den entsprechend verbleibenden Tag anderweitig. Was sich innerhalb meines kleinen Dörfchens kaum erahnen ließ war nämlich, dass man mit dem Zug keine dreißig Minuten brauchte um mitten Im Großstadt-Zentrum der englischen Hauptstadt zu landen! So konnten über ein halbes Jahr hinweg nahezu jede Sehenswürdigkeit und jede kulturelle Ecke von Bedeutung „abgeklappert“ werden.
Aber die Britische Insel bietet natürlich noch viel mehr Sehenswertes, sodass es auch runter an die Südküste oder nach Windsor-Castle ins „Wohnzimmer“ der Queen ging (die entweder nicht zu Hause war, oder sich tatsächlich dreist dagegen entschied uns zum traditionellen Mittags-Tea herein zu beten!).
Dieser wird übrigens tatsächlich zur „tea-time“ nachmittags um fünf getrunken. Das Klischee bestätigte sich ebenso direkt in der ersten Woche, wie auch der regelmäßige Genuss von Porridge (Haferbrei, der wesentlich besser schmeckt als er aussieht), Pudding (der wesentlich besser aussieht als er schmeckt) und Marmite (ein Aufstrich, der weder lecker aussieht, noch gut schmeckt!).
Erwähnenswert scheint mir dann nur noch das Wetter. Tatsächlich regnet es um London herum gar nicht so häufig wie immer behauptet wird. Allerdings ist der Regen permanent Gesprächsthema Nummer eins – absolut unabhängig von den Wettererscheinungen des Tages. Gemäß einem geheimen Briten-internen Protokoll können die Inselbewohner noch drei Wochen später den momentanen Regen exakt mit dem vergangen vergleichen und dadurch praktischerweise ÜBERALL und zu jedem Zeitpunkt ein mehrstündiges Gespräch in Gang bringen (und dieses ohne notwendigen Themenwechsel auch am Laufen halten).
Nur wenn es schneit tritt der absolute Ausnahmezustand ein. Die Meldungen kündigten es an, lange bevor die erste Wolke überhaupt am Himmel zu sehen war. Die Kinder wurden vorsorglich nicht in die Schule geschickt, die Einkaufsläden wurden gestürmt, während die ersten harmlosen Flöckchen vom Himmel fielen (bereits vormittags waren Brot und Milch englandweit ausverkauft!) und nachmittags, als der Niederschlag gefallen war und das Unwetter bei endgültigen 13cm Schnee seinen Höhepunkt gefunden hatte, stand die komplette Nation still: Autos, Busse und sogar Züge fuhren nicht mehr und die Engländer verbarrikadierten sich drei Tage lang in ihren Häusern. Aber sehenswert war es allemal!
Egal ob es nun die Theater-Aufführung der Kinder war, das Krippenspiel in der Schule oder der Geburtstag der Zwillinge, auf dem ich den kleinen, wuselnden Geschöpfen stundenlang auf einer Art Hüpfburg-Spielplatz-Konstruktion hinterher eilen durfte, als sechstes Mitglied meiner englischen Familie konnte ich mich sofort akzeptiert fühlen (… oder als achtes Mitglied, zählt man die beiden Hühner mit, die unseren Garten bewohnten!).Und dann bleibt nur noch etwas zum größtenteils oberflächlichen Argument der Sprach-Verbesserung zu sagen. „Ich möchte nach England um meine Kenntnisse zu verbessern, den Alltag und die Kultur einer normalen, einheimischen Familie kennen zu lernen.“ Es ist so achtlos daher gesagt. Aber Tatsache ist: es stimmt!
Ich meldete mich am College an und war plötzlich englischer Austauschstudent des Fachs „English for foreign students“. Dort knüpfte ich ausreichend Kontakte mit anderen Aupairs aus Deutschland, Österreich, Polen, Spanien, Tschechien, Finnland und Italien und verbesserte meine Fähigkeiten die Sprache der Briten zu beherrschen erheblich.
Am aller-, aller-, aller-, allerwichtigsten ist: Man muss es wollen. Man muss bereit sein sich „anzupassen“, oder zumindest sich in das System des Familienalltags zu integrieren. Man muss die Sprache lernen wollen. Man sollte wirklich an den Erfahrungen interessiert sein – auch wenn die ein oder andere Situation ungewohnt und fremd scheint. Plötzlich kann man mit fremden Leuten reden, man findet sich allein in London zurecht, man lernt Freundschaften und Nettigkeiten zu schätzen und man erkennt für sich die wichtigen Dinge im Leben (sei es die Familie zu Hause, das Abtauchen in die Partyszene der Großstadt oder die Tafel Schokolade im kindersicheren Versteck unter der Matratze!).
Es ist nicht immer einfach da draußen in der weiten Welt, aber eine Erfahrung ist es allemal wert! Und Hemden Bügeln kann ich jetzt endlich auch... !