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Südafrika

Ein halbes Jahr Südafrika

Nach meinem bestandenen Abitur im Jahr 2009, ging ich für ein halbes Jahr nach Südafrika, um dort freiwillig in einem Kinderheim zu arbeiten und gleichzeitig dieses Land am südlichsten Zipfel des schwarzen Kontinents reisend zu erkunden.

 

Alles fing Anfang September 2009 mit einer Einführungswoche in Kapstadt an. Ich verbrachte diese erste Woche in Afrika allein in einem sehr schönen Backpackers am Rande Kapstadts. Ich wurde mit neuen Eindrücken überschüttet und blieb mit ihnen allein, was mir einen schwierigen Start in diesem wunderschönen Land bescherte.

 

Zu diesem Zeitpunkt fiel es mir sehr schwer, mich mit dem Gedanken abzufinden, dass ich dieses Land nicht wieder vor dem 09. März 2010 verlassen werde. Natürlich, ich war in Afrika. Dennoch war ich in keiner Weise so darauf vorbereitet, wie ich es hätte sein können. Ich wurde erschlagen von einer Widersprüchlichkeit, wie man sie höchstwahrscheinlich nur in Südafrika erleben kann. In diesem Land trifft die erste Welt, eine Welt, in der Wohlstand in all seinen verschiedenen Formen lebt, auf die dritte Welt, also eine Welt, deren Bewohner in einem in allen Bereichen  unterentwickelten Gesellschaftssystem leben. Südafrika vereint diese Welten. Die Grenze zwischen ihnen, läuft entlang der Farbe der Haut.

Diese zwei völlig entgegengesetzten Lebensweisen auf engsten Raum beobachten zu können, kam mir anfänglich unwirklich vor, wie ein Experiment, in dem Privilegierten und Unterprivilegierten der gleiche Lebensraum gegeben wird und man beobachtet, was passiert. Diese scharfen sozialen Gegensätze verursachen vor allem eine deutliche territoriale Aufteilung des Landes. Weiße und Wohlhabende verschanzen sich hinter immer höher werdenden Mauern und Stacheldraht.

Gesichert durch Bewegungsmelder, Überwachungskameras und Strom, entstehen parallele Welten, Oasen, in denen die Rosen blühen, der Pool eine erfrischende Kühlung verspricht, in denen sich das Leben bei einem Glas Wein von der schönsten Seite präsentiert. Umzäunte Wohnviertel werden von den Autos der großen privaten Sicherheitsfirmen umrundet.
Schwerbewaffnete Bewacher ziehen ihre Kreise in den ruhigen Villenvierteln. Nur das Aufheulen des Ferraris könnte stören.

Man muss aber nie weit fahren, um der Realität der meisten Südafrikaner wieder ein Stück näher zu kommen. Rauschender Reichtum wechselt in Südafrika schnell in drückende Armut. Hüttensiedlungen zusammengeschustert aus Wellblech, Pappe und vermodertem Holz prägen auf ein Mal das Bild. Urbanisierte Armut ist allgegenwärtig. Und es sind nicht ein paar hundert solcher Bruchbuden, sondern Millionen.

Es zieht Millionen Südafrikaner, aber vorallem auch Kongolesen, Simbabwes und Mosambikaner in die südafrikanischen Großstädte. Der Traum vom Reichtum oder zumindest von einem weniger mittellosen Leben lässt Slums entstehen, die unüberschaubar sind. Südafrika ist verglichen mit den anderen Staaten des schwarzen Kontinents das wohlhabendste und stabilste Land. Es gibt eine vom ganzen Volk gewählte demokratische Regierung, eine Verfassung, die sich für die Einhaltung der Menschenrechte ausspricht. All dies zieht Immigranten aus anderen afrikanischen Ländern an.

Gleichzeitig geben auch immer mehr schwarze Südafrikaner ihr würdevolles traditionelles ländliches Leben auf, welches vor allem auf einer Landwirtschaft für den eigenen Bedarf basiert. Auch sie riskieren ein Leben im Slum, um der Verheißung des modernen, vermeintlich besseren Lebens zu folgen.

Nur die wenigsten können aber tatsächlich an diesem Leben teilhaben. Das wirkliche Leben besteht aus einem Wechselspiel von Arbeitslosigkeit, Armut, Aids und Kriminalität. Es ist für die meisten ein Leben im Elend, am Rande dessen, was man Leben bezeichnen kann. Waffen, pure Gewalt, sexueller Missbrauch, Alkohol und Drogen gehören schon vom Kindesalter an zum Alltag. Aber auch in den Townships, also den Wohngebieten der Schwarzen und Farbigen, gibt es Nuancen.

Natürlich, auf der einen Seite stehen die Straßenkinder und Betrunkenen, die Verwahrlosten und hilflosen Kranken. Sie wirken seelenlos. Auf der Suche nach einem höheren Lebensstandard verloren sie den Lebenssinn.

Andererseits gibt es aber auch so etwas wie Hoffnung in Form von ganz normalem Leben. Man sieht Leute beim Einkaufen und Arbeiten, beim Pflegen ihres noch so kleinen Grundstücks, beim Spielen mit Kindern. Frisch gestrichene Häuser zwischen all dem Zerfallenen und Provisorischen haben den Anschein des Rebellischen. Sie stehen für den Kampf um den Erhalt eines fundamentalen Menschenrechts. Sie lassen den Betrachter wissen, dass nur durch die Überwindung der bitteren Armut ein Leben in Würde möglich ist.

All dies prasselte anfänglich auf mich ein und führte zu einem verzerrten Bild von Südafrika in meinem Kopf. Ich sah das Widersprüchliche und Schlechte. Die Angst, überfallen zu werden, lähmte mich. Ich fühlte mich unfrei und einsam in einer Welt der Ungerechtigkeit.

All dies wehrte nicht lange. Mit der Zeit machte ich mich frei und erreichte letztendlich ein freiheitliches Lebensgefühl, welches ich bis dahin nicht erlebt habe.

Was der urbane Raum vielerorts an Schönheit missen lässt, macht die südafrikanische Landschaft wett. Nie zuvor habe ich eine ähnlich spektakuläre und vielseitige Natur erleben dürfen. Nachdem ich mir in der dritten Woche meines Aufenthalts einen Käfer Baujahr 1977 zugelegt hatte, begann ich an den Wochenenden die Umgebung Kapstadts und das ganze Western Cape zu erkunden.

Zehn Minuten von Kapstadts Stadtzentrum entfernt befinden sich menschenverlassene Meeresbuchten, die einen innerhalb von Sekunden all das Leid und Elend der Stadt vergessen lassen. Fast weißer Sand wird von rundgespülten Felsbrocken durchzogen. Schottlandgrüne Berge erheben sich majestätisch angrenzend an die Buchten bis zu 1000m in die Höhe.

Auch hier richtet sich der Blick auf die spektakulären Felsformationen, die hoch oben bei untergehender Sonne rot schillern. Auf östlicher Route zum Kap der guten Hoffnung stößt man auf kilometerlange Sandstrände, an denen ganzjährig konstant gute Wellen brechen. Das Wasser und die hier liegenden Städtchen erinnerten mich immer an den Surferlifestyle in Kalifornien.

Surfen prägt hier auf einmal jeden Bereich. Oftmals bin ich auf der Suche nach guten Wellen die Küstenstraßen südlich von Kapstadt abgefahren. Dies war mehrfach ein beneblungsartiger Zustand, wenn ich in den Buchten weit unten die sauberen „swell-lines“ einlaufen sah und ich gleichzeitig mit der grandiosen Landschaft verschmolz. Umso näher man dem Kap der guten Hoffnung kommt, desto schroffer und karger präsentiert sich die Natur. Rundlich weiche Formen gehen in kantige grobe Gebilde über. Auch diese Umgebung war ein sehr besonderes Naturerlebnis.

Auf dem Weg von Kapstadt nach Moorreesburg, der Ort, in dem das „Huis van Heerde“ Kinderheim untergebracht ist, wo ich arbeitete, musste ich regelmäßig 100km lang die Kornkammer Südafrikas durchqueren. Auf dieser Strecke konnte ich den Wechsel des südafrikanischen Frühlings zum heißen, dürren Sommer hin beobachten. Als ich die Strecke erstmals im September fuhr, flog ich über sanfte grüne Hügel. Es war ein intensives, saftiges Grün voller Vitalität.

Die Felder hier bemessen sich in Dimensionen, die man mit dem bloßen Auge nicht erfassen kann. Erstmals wurde mir die südafrikanische Weite bewusst. Man blickt kilometerweit in alle Himmelsrichtungen und erblickt doch keine Ansiedlung, kein Zeichen von Zivilisation. Weit im Osten erstreckt sich ein kantiges Gebirge, die Cederberge.

Gegen Sommer wich das Leben aus den Feldern. Grün wurde zu Gold-Rot. Ein völlig neues Landschaftsgefühl entstand. Es rückte näher zu dem, was ich mir unter Afrika vorgestellt hatte: Trockene, staubig-rote Erde, die sich unter der erbarmungslosen Sonne zusammenzieht.

Das Kinderheim, das ich für meine freiwillige Arbeit gewählt hatte, liegt in dieser Landschaft. Es liegt, wie eine schwarze Insel, im Wohngebiet der Weißen in Moorreesburg und ist in fünf Häuser unterteilt: Zwei Jungenhäuser, zwei Mädchenhäuser, ein Kleinkinderhaus. Die Häuser sind geräumig und funktional gestaltet. Es gibt eine Küche, ein großes Bad und fünf Schlafzimmer, welche sich die Kinder meist  zu zweit teilen.

Ich arbeitete in Haus vier, einem der Jungenhäuser mit zehn Jungs im Alter von 4 bis 15 Jahren. Es war keine Arbeit im klassischen Sinne. Ich verbrachte täglich meine Zeit mit ihnen. Dies beinhaltete, dass ich sie morgens in die Schule brachte, sie mittags abholte, mit ihnen aß und spielte, mit ihnen lernte und lachte. Wir schwammen zusammen, gingen an den Strand, spielten Rugby und Fußball, tanzten und turnten. All dies beschreibt allerdings nicht, was das Zusammensein mit den Kids ausmachte.

Mich bewegt am nachhaltigsten diese schier grenzenlos erscheinende Lebensfreude, die mir jeden Tag entgegenschlug. Es beeindruckt mich, wie positiv man einem nach unseren Maßstäben verpfuschten Leben gegenüberstehen kann.
Offen und begeisterungsfähig zu sein ist eine mir seit langem bekannte kindliche Eigenschaft. Hinsichtlich dieser Eigenschaft wurden für mich in Moorreesburg die Maßstäbe verschoben. Anfänglich hatte ich das Gefühl, dass alles, was ich anfasste und tat zu etwas Magischem wurde. Ich fühlte mich nicht immer wohl, wenn die Jungs darum feilschten, möglichst nah bei mir zu sein und eifersüchtig wurden, wenn ich mich einem von ihnen intensiver widmete.

Diese magische Aura, die ich anscheinend ausstrahlte, verblasste mit der Zeit etwas. Dennoch gewann ich den Eindruck, dass deutsche  Kinder in mancher Hinsicht übersättigt sind und gelangweilter in einer Welt voller verschiedener Abenteuer und Märchen herumlaufen. Sie haben ganz offensichtlich die Freude an dem Einfachen verloren. Euphorische Begeisterung ist bei uns komplizierter geworden und meist nur durch technischen Aufwand und das damit verbundene Verschwinden aus der realen Welt, die scheinbar zu wenig zu bieten hat, möglich. Ich werde niemals vergessen, wie die Jungs aus meinem Haus „ausgeflippt“ sind, als ich erstmals mit ihnen am Strand war.

Einige sahen zum ersten Mal in ihrem Leben das scheinbar niemals enden wollende Meer, obwohl sie oftmals nicht mehr als 20km entfernt von der Küste aufwuchsen. Wie sie stundenlang den Strand hoch und runter rannten, sich furchtlos in das eiskalte Wasser warfen und ohne Scheu ihrer Freude freien Lauf gewährten, erfüllte mich mit wehmütiger Zufriedenheit. Wie so oft entstand auch hier dieses zweigespaltene Gefühl.

Die Freude darüber, dass sich die Jungs so sehr daran erfreuten, was ich mit ihnen unternahm, wurde von dem Eindruck unterspült, in einer ungerechten Welt zu leben. Wieder einmal wurde mir hier am Strand bewusst, wie verschieden der Lauf des Lebens sein kann und wie viel von der Startposition abhängt, die man erhält. Denn für mich, der normalerweise weit entfernt vom Meer lebt, ist es fast schon ein gewöhnlicher Anblick, dieser nichtfassbaren Wassermasse ausgesetzt zu sein, mein Surfbrett zu nehmen und ein paar Wellen abzureiten.

Belastend an der Arbeit im Kinderheim war für mich die Gewalttätigkeit der Hausmutter und ihre oftmals willkürliche Bestrafung der in meinem Haus wohnenden Jungs. Die 3000 Rand, also etwa 300 Euro Bezahlung für den Job der Hausmutter, die 24 Stunden an 7 Tagen in der Woche mit den Kinder beschäftigt ist, zieht nicht unbedingt die pädagogisch gut Ausgebildeten an.

Folglich waren die Hausmütter in den verschiedenen Häusern vielleicht sehr liebe Frauen, die aber oftmals hilflos gegenüber den teilweise stark traumatisierten Kindern wirkten. In meinem Haus wurden Kinder mehrmals auf brutale Art und Weise geschlagen.
Es ist merkwürdig, wie lange es brauchte, bis ich begriff, dass man diesen Tatbestand auch in Südafrika nicht akzeptieren darf, dass ich auch in diesem, uns so fernen Land die Pflicht habe, etwas gegen diese Art Gewalt zu unternehmen. Letztendlich ging ich erst zwei Wochen vor meiner Abreise zu dem sehr vernünftigen Direktor des Heims um ihm von der gewalttätigen Hausmutter zu berichten. Sie wurde daraufhin gefeuert, da auch schon Andere Beschwerden eingereicht hatten.

Im Nachhinein ärgere ich mich etwas über mich, darüber, dass ich diesen Schritt nicht früher gewagt hatte. Rückblickend sehe ich nun, wie leicht es ist, belastende Dinge zu verdrängen, sie unausgesprochen zu belassen und somit erst die Umgebung zu schaffen, in der ein solcher täglicher Missbrauch möglich ist. Man wird letztendlich zum Mittäter.

Dennoch bietet das Heim den Kindern die Möglichkeit, die Basis für ein normales Leben aufzubauen. Was für eine privilegierte Möglichkeit die Kinder erhalten, wurde mir immer bewusst, wenn ich manche der Kinder am Wochenende zu ihren Eltern in die verschiedenen Townships im Umkreis von 200km von Moorreesburg brachte.
Übermäßiger Alkoholismus und Drogenkonsum von Eltern junger Kinder  sind oft der Hauptgrund, warum Kinder in Südafrika in ein Heim eingewiesen werden. Neben den häuslichen Bedingungen, wurde ich meist auch von dem Zustand derjenigen, die angeben, die Eltern der süßen Kinder zu sein, erschüttert.

Mir fiel es schwer, diese mir ans Herz gewachsenen Kids bei diesen völlig verwahrlosten, leeren, gedemütigten Menschen zu lassen. Besonders problematisch wurde es für mich immer dann, wenn ich Kinder zu Beginn der Ferien zu ihren Eltern brachte, die vom Kinderheim organisierten Essenpakete ablieferte und dennoch feststand, dass die Kinder magerer und ungepflegter ins Heim zurückkehren werden. Besonders bezeichnend fand ich immer die Einstellung der Kinder.

Von außen betrachtet, bedeutet diese Rückkehr ins Township ein mehrklassiger Abstieg hinsichtlich der Lebensqualität. Dennoch freuten sich die Kinder auf ihr Zuhause. Ein neunjähriges Mädchen umarmte einst bei der Ankunft heulend ihre Mutter. Diese wiederum konnte kaum stehen. Sie war dermaßen zugedröhnt, dass es ihr nicht möglich war, ihre Tochter in den Arm zu schließen. Es tat weh, zu sehen, was für ein Mensch diese Mutter war und wie sehr sie dennoch von ihrer kleinen Tochter geliebt wurde.

Ein weiterer Teil meiner täglichen Pflichten in Moorreesburg bestand darin, morgens die Wasch- und  Küchenarbeitskräfte des Heims  abzuholen. Wie alle Farbigen oder Schwarzen, wohnten auch unsere Arbeitskräfte im Township. Diese zur Zeit der Apartheid entstandenen Stadtabschnitte sind auch heute  noch ein  Tabu  für  Weiße. Als Weißer treibt es einen nur  in diese Gegend, um entweder Drogen zu kaufen oder, der folgenden Gruppe gehörte ich an, billige Arbeitskräfte auf seine Ladefläche zu laden, um dann aber möglichst schnell wieder zu verschwinden.

Dies war allerdings nicht so leicht. Das Moorreesburger Township, ein vergleichsweise kleines, ähnelt einem Labyrinth. Alle Bretterbuden sehen gleich aus, in jeder Straße spielen Kids, an jeder Ecke stehen Männer in ihrer blauen oder roten Arbeitskluft, abholbereit für jegliche, ihnen von Weißen zugewiesene Arbeit. Die hier lebenden Menschen arbeiten für nichts. Sie bekommen einen Tageslohn zwischen 30 und 100 Rand, also etwas zwischen 3 und 10 Euro. Die Mitarbeiter des Heims werden mit 100 Rand pro Tag entlohnt, verdienen also deutlich überdurchschnittlich,  schätzen sich glücklich und gehören der kleinen Township-Mittelschicht an.

Ich genoss die Fahrten in diese Gegend, in die ich eigentlich auf Grund meiner Hautfarbe nicht gehörte, sehr. Sie unterschieden mich von einem Großteil der weißen Südafrikaner, die diese Gegend nicht aus Angst nicht betreten würden, sondern aus Stolz. Gerade in Moorreesburg, eine Farmerhochburg, ist rassistisches Gedankengut weit verbreitet.

Erzählte ich im Pub gewissen Leuten, dass ich im Kinderheim arbeite, konnte es passieren, dass sich der Gesprächspartner umdrehte und wegging, mich verdutzt zurücklies, aus dem einfachen Grund, dass es sich nicht gehört, diesen Menschen zu helfen. Ich fuhr jeden Tag zwei Mal in diese "Höhle des Löwen" und merkte, dass ich willkommen war, mich die Leute so respektierten, wie ich sie respektierte. Nein, mehr sogar. Kinder auf der Straße schrien manchmal im Chor "Huis van Heerde", der Name des Heims, wenn ich passierte. Es schien bekannt zu sein, was ich dort verloren hatte, warum ich mich als Weißer wagte, in ihren Lebensraum zu treten. Sie schienen kein Problem damit zu haben und waren teilweise sogar glücklich, dass ich mich ihres Gleichen widmete, ihnen mit ihren Problemen half. Das war immer ein schönes Gefühl.

Außerdem lernte ich auf meinen morgendlichen Fahrten immer wieder die Freundlichkeit der farbigen und schwarzen Menschen kennen. Sie grüßten mich mit einem Handzeichen, lachten, guckten mir hinterher. Nicht aber auf die zugeknöpfte nordhessische Weise, sondern sie taten es gerade heraus, ohne Scham.

Rückblickend habe ich in diesem halben Jahr viel Schönes erlebt, aber auch ein paar Tiefpunkte durchschritten. Gerade zu Beginn konnte ich mir nicht vorstellen, in einem solchen Land, in dem die einen in Geld schwimmen und die anderen verhungern, ein halbes Jahr zu leben. Nicht selten hinterfragte ich auch das, was ich dort tat. Freiwillige Arbeit in Südafrika als solches ist ambivalent.

Auf der glänzenden Seite stehen sicherlich der Enthusiasmus und die Freude, die man bei den Kindern als Freiwilliger wecken kann. Denjenigen Aufmerksamkeit zu widmen, die normalerweise kaum Beachtung finden, ist etwas Gutes und Wichtiges. In Südafrika hat es nochmals ein gesteigerten Stellenwert, sich als Weißer mit diesen Kindern auseinanderzusetzten.


Auf der anderen Seite der Münze steht sicher an erster Stelle, dass man als Freiwilliger nur einen kurzen, begrenzten  Zeitraum mit den Kids verbringt, man sich sehr aneinander gewöhnt und dann plötzlich wieder auseinander gerissen wird. Ich werde meinen Weg in eine bestimmte Richtung weitergehen, aber die Kinder verbleiben erst mal in dem Heim.

Sie hatten Spaß daran, nachmittags mit mir in den Park zu gehen, Saltos zu üben oder Rugby zu spielen. Nun ist dort keiner mehr, der Zeit hat, dies mit ihnen zu unternehmen. Ich habe ihnen etwas geschenkt und es ihnen anschließend wieder weggenommen. Das ist fies. Ganz generell denke ich in diesem Zusammenhang auch darüber nach, ob freiwilligen Arbeit von Europäern in Südafrika sinnvoll ist. Sie ist definitiv nicht nachhaltig. Gerade in Südafrika gibt es hunderttausende gut gestellte Jugendliche, die scheinbar leichtfüßig über die über 80% verarmte Bevölkerung hinwegsehen können und sich keine Gedanken darüber machen, ob das, was in ihrem Land passiert, fair ist.

Ich mache mir Gedanken darüber, ob es nicht sinnvoller und besser für die Probleme der Südafrikaner wäre, wenn sie anfangen würden, von innen heraus ein solches Bewusstsein für die Probleme des Landes zu entwickeln und man mit der kurzlebigen, aber weit verbreiteten freiwilligen Arbeit europäischer Jugendlicher nicht dazu beiträgt, dass die eigene wohlhabende und wohlgebildete Jugend die Augen verschließt und keine Initiative ergreift.

Trotz alledem bin ich sicher, dass freiwillige Arbeit vom Grundgedanken her etwas Gutes ist, auch von Ausländern, die nur kurzzeitig helfen. Ich hoffe einfach, dass ich in meiner Zeit den Kindern, Momente und Lebenseindrücke geben konnte, die sie behalten, die hoffentlich so schön waren, dass sie sich gerne daran zurück erinnern. Dann schlummert mein Geschenk zumindest in ihrer Erinnerung weiter.

Auch mich persönlich hat dieses halbe Jahr ein bisschen verändert. Mir wurde deutlich, was Deutschland für ein grandios organisiertes Land ist, in dem es sicherlich nicht perfekt zu geht, aber welches dennoch dem Großteil der Bevölkerung ein Leben in Würde ermöglicht. Ich bin froh, hier zu leben, mich frei und ohne Angst bewegen zu können. Sicherlich habe ich auch, wie man so schön sagt, an Reife gewonnen. Ich bin an den vielen Situationen, den ich ausgeliefert war, gewachsen.

Es war nicht schön, so deutlich den Schattenseiten des Lebens gegenüber zu stehen, aber sehr beeindruckend und hoffnungsspendend zu beobachten, dass es gerade unter den Jüngeren die gibt, die kämpfen, die sich nicht zufrieden geben und versuchen aus einem Trümmerhaufen von Leben ein Haus zu errichten. Ich selbst sehe viele Dingen gelassener, sehe wie unbedeutend und relativ vieles ist. Ganz sicher kann ich jetzt schätzen, was für ein Glück ich habe, dieses Leben auf diese Weise leben zu dürfen.

 

Kassel, 01. April 2010

David Steuernagel

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